03 Februar 2006

Alltagsfreuden mit den Wiener Linien oder: Nur die Starken überleben!


Ein später Winternachmittag in Wien. Die U-Bahn-Garnitur hat gerade eine riesige Masse an heimwärts eilenden Menschen ausgespien, die sich die beiden Rolltreppen hinaufwälzen. Plötzlich kommt Hektik in die Menge: Die vorderen Reihen haben eine in der Haltestelle stehende Straßenbahngarnitur erspäht und sprinten los, um vielleicht noch durch die letzte Tür dieselbe betreten und einige Minuten Vorsprung im Wettlauf gegen die an freien Abenden immer knapper werdende Zeit zu gewinnen. Die Straßenbahn verweilt etliche Minuten in der Haltestelle, da beinahe alle von der U-Bahnstation kommenden Menschen die Garnitur durch die letzten beiden Türen entern.

Endlich werden die Türen geschlossen, einige Unglückliche schaffen es nicht mehr, bleiben zurück und schneiden grimmige Grimassen oder schleudern dem sich entfernenden Massenverkehrsmittel Flüche hinterher. Doch die Fahrt dauert nicht lange. Vor der nahen Remise bleibt die Straßenbahn stehen, direkt hinter einer anderen, wundersamerweise leeren Garnitur. Als die zweite, vollbesetzte Straßenbahn die nächste Haltestelle erreicht, ist von der leer fahrenden "Vorderbim" nichts mehr zu sehen. Dafür verkündet der Fahrer den staunenden und ob seiner Nachricht erbosten Passagieren, dass die Garnitur eingezogen werden müsse, weshalb alle Fahrgäste gebeten seien, selbige zu verlassen und auf die nachfolgende Garnitur zu warten. Murrend wird seiner Anordnung Folge geleistet und bald ist der schmale Streifen der Haltestelleninsel prall besetzt mit sehnsuchtsvoll nach der nachfolgenden Straßenbahn Ausschau haltenden Frierenden, die auf eine Erlösung von der bitteren Kälte des nebeligen Winterabends hoffen.
Noch bevor der Fahrer nach erfolgter Handweichenumstellung die Flucht vor den bösen Blicken der Zurückgelassenen ergreifen kann, wird er von einer Frau mit der Frage konfrontiert, ob es denn nicht sinnvoll gewesen wäre, die von der Remise kommende Leergarnitur nach der einzuziehenden vollen auf die Straße und somit in die Station zu lassen. Was folgt, ist eine typische Bewegung von Gemeindebediensteten: Ein Schulterzucken, begleitet vom Gesichtsausdruck vollkommenen Desinteresses. Er murmelt etwas Unverständliches von "Fahrdienstleitern" und "Unfall", beeilt sich aber, schnell die Türen hinter sich zu schließen und abzufahren.

In den nachfolgenden zehn Minuten wird die Masse der Wartenden immer kleiner, als nach und nach immer mehr Menschen das Frieren auf der düsteren und dem kalten Wind ausgesetzten Haltestelleninsel leid sind und lieber per pedes den restlichen Heimweg antreten. Der ausharrende Rest darf sich auf einen herzerwärmenden Anblick freuen: Es nähert sich tatsächlich eine andere Straßenbahngarnitur. Als diese jedoch näher kommt, folgt die Enttäuschung auf dem Fuß: Sie ist prall gefüllt. Die nach langer Wartezeit entschlossen und finster dreinblickenden Eingezogene-Garnitur-Flüchtlinge schaffen es dennoch, sich in die ohnehin überbesetzte Straßenbahn zu quetschen. Der letzte drückt sich jeweils kurz in das Wageninnere, admit hinter ihm die Türen zugehen können. Dann lehnt er sich gegen die geschlossene Tür. Zumindest er ist nicht von allen Seiten von Menschen umgeben.

Und die Moral von der G'schicht: Mit den Wiener Linien ist und bleibt jede Fahrt ein Abenteuer. Dass dieses mitunter in Überlebens-Training ausartet, wird auf keiner Reklametafel beworben. Mit der "Kundenfreundlichkeit" des Unternehmens und der "Freundlichkeit" ihrer Angestellten sind sie ein Paradebeispiel von staatlich (in diesem Fall besser: Stadt-lich) gestützter Misswirtschaft. Doch über Misswirtschaft in den städtischen Betrieben der Bundeshauptstadt zu schreiben, würde die Rahmen dieses Blogs bei weitem sprengen...