02 Oktober 2006

Von Verlierern und Gewinnern


Die Nationalratswahl 2006 ist geschlagen, die Verluste und Zugewinne werden in den kommenden Tagen und Wochen ausgiebig diskutiert, Wählerstromanalysen studiert und die eigene Wahlstrategie kritisch geprüft. Nüchtern betrachtet kann man aber bereits feststellen, wer der eigentliche Verlierer dieser Wahl ist: Der Wähler respektive die Wählerin. Klipp und klar gesagt, ist am politischen Horizont bereits die Rauchfahne einer großen Koalition wahrnehmbar und es kann mit Fug und Recht befürchtet werden, dass auch diesmal der Rauch groß und die Ergebnisse eher bescheiden ausfallen werden. Doch wie kam dieses Ergebnis zustande?

Die ÖVP ist, das ist nicht zu beschönigen, unter allen Parteien der Hauptverlierer. Minus knapp acht Prozent ist keine Leistung, auf die man stolz zu sein einen Grund hätte. Die Fehler sind auch bekannt, wenn auch von den entscheidungsbefugten Gremien und Personen auf die lange Bank geschoben oder gar gänzlich ignoriert wurden: Die Abgehobenheit der Kanzlerpartei führte wohl dazu, dass man anscheinend schlecht vorbereitet in den Wahlkampf ging. Den durch den BAWAG-ÖGB-Skandal lukrierten Bonus verschenkte man umgehend durch ungewohnt unprofessionelles Agieren bei und im Vorfeld der Wahl des ORF-Generalintendanten. Das bedingungslose Festhalten an der unglücklichen Monika Lindner und eines vollkommen unerträglich gewordenen Werner Mück waren die ersten Warnzeichen, doch sie wurden von der VP-Spitze übersehen. Zu siegessicher war man auch noch, als im Sommer die Pflegedebatte aufflammte - und reagierte dann falsch. Indes wurde der Wahlkampf ganz auf den amtierenden Bundeskanzler abgestimmt und dabei übersehen, dass Wolfgang Schüssel ein gewiefter Taktiker, knallharter Verhandler und guter Polit-Manager sein mag: Volksnah kann man ihn nicht schimpfen. Anstatt die Errungenschaften der letzten beiden Legislaturperioden in den Vordergrund zu stellen verzichtete man völlig auf Sachthemen und startete einen beispiel- und weitgehend inhaltslosen Feelgood-Wahlkampf, der bei den meisten Wählern schlichtweg nicht ankam. Dass das Rekordergebnis von 2002 mit über 42 Prozent der Stimmen nicht zu wiederholen sein wird, wusste man in der Lichtenfelsgasse schon längst – der Gedanke, dass man selbst die eigenen Wähler nicht zu mobilisieren vermögen würde, tauchte wohl selbst in den düstersten Alpträumen des Reinhold Lopatka nicht auf. Doch die Zahlen beweisen es: Die Hälfte aller von der ÖVP abgewanderten Stimmen gingen ins stetig wachsende Lager der Nichtwähler. Doch Wolfgang Schüssel hat bereits als Obmann der drittstärksten Partei der großen Coup gelandet, und der Meistertaktiker hat keine allzu schlechte Ausgangssituation für Koalitionsverhandlungen: Rot-Grün geht sich nicht aus, und so verbleibt die ÖVP als einzig logischer Koalitionspartner für die SPÖ – spannende Verhandlungen sind vorprogrammiert.

Die SPÖ feierte den Wahlsonntag und wurde von allen Medien als Wahlsieger bejubelt. Zu Recht? Jein. Bei all dem Siegestaumel darf nicht übersehen werden, dass auch die SPÖ zum Aderlass kam – freilich nicht so krass wie die Volkspartei, doch auch sie muss ein Mandat abgeben. Weshalb die Sozialdemokraten doch jubeln können, dürfte wohl klar sein: Sie schafften die Rückkehr auf den ersten Platz und können den Kanzleranspruch stellen. Zurückzuführen ist dies auf eine beispiellose und bewundernswerte Mobilisierungskampagne: Durch Negativmeldungen wurde die Arbeit der Bundesregierung pauschal durch den Kakao gezogen und dadurch die massiven Stimmverluste durch den BAWAG-ÖGB-Fiasko wieder wettgemacht. Überdies konnte in den Reihen der sozialdemokratischen Funktionäre und Wähler eine „Jetzt erst recht!“-Stimmung erzeugt werden, die dazu führte, dass die SP-Wähler diesmal vermehrt zur Urne schritten und die Wahl zu Gunsten ihrer Partei entschieden. Freilich waren dies neben der traditionellen Wählerschicht Arbeiter wieder vorrangig Pensionisten und so ist und bleibt die SP auch die „SeniorenPartei“. Warum so viele Sozialisten davon Abstand nahmen, dem Spinnennetz BAWAG-ÖGB-SPÖ eine Absage zu erteilen und die Tatsache, dass mutmaßliche Schwer(Wirtschafts-)-Kriminelle in den eigenen Reihen jahrelang ungestraft ihr Unwesen treiben konnten, bleibt ungeklärt. Fest steht, dass sich der Zusammenhalt in den Reihen der Sozialisten wieder einmal stärker erweist als dies die VP je erreichen konnte. Der Wahlsieg könnte den SP-Verhandlern freilich bald vergehen wenn es gilt, gegen die Verhandlertruppe rund um Wolfgang Schüssel anzutreten. Der Juniorpartner VP wird sich die große Koalition teuer bezahlen lassen, und so werden die von der Gusenbauer-Truppe so vollmundig verkündeten Reformvorhaben wohl nicht so umgesetzt werden können, wie dies dem Wähler versprochen wurde. Selbst der „Mann fürs Grobe“, der die ÖVP stets rüpelhaft geißelnde Michael Häupl wird sich also bald in einer für ihn ungewohnten Rolle wieder finden und sich in Demut üben müssen, soll sich die große Koalition ausgehen. Ein fulminanter Sieg oder ein Pyrrhussieg – die Gratwanderung wird für Gusenbauer & Co. wahrlich nicht leicht.

Das dritte Lager darf jubeln. Die vor der Wahl als „Statler und Waldorf der Muppet-Show FPÖ“ verhöhnten Stadler und Mölzer können ein Plus vor ihrem Wahlergebnis sehen – und dies trotz BZÖ-Abspaltung. Gelungen ist dies dem Haider-Klon Strache mit einem aus früheren FP-Zeiten gewohnten Anti-Ausländer-Wahlkampf auf Niedrigstniveau, abgestimmt auf ihre Wählerschichten: Die FPÖ schaffte es, sich als „rechte Arbeiterpartei“ zu positionieren – unter den Intellektuellen und Angehörigen höherer Bildungsschichten war sie klarer Außenseiter, während sie bei Arbeitern und den niedrigen Bildungsschichten auf hohe Zustimmung stieß. Die Angst vor Fremden wurde erfolgreich geschürt, den Wohlstandsverlierern konnte erfolgreich der „Ausländer“ als Feindbild präsentiert werden. Da die FPÖ sich aber bereits weit vor der Wahl auf einen – seither Schritt für Schritt zurückgenommenen – Oppositionskurs brachte, wird die Sinnhaftigkeit der für sie abgegebenen Stimmen doch angezweifelt werden.

Die Grünen erlitten ein Schicksal, das sie wohl kennen dürften: Vor der Wahl in den Umfragen hochgejubelt, zerbröselten sie zwischen den Kanzlerkandidaten einerseits und dem rechten Duell Strache-Westenthaler anderseits. Sie konnten nicht mit ihren Themen punkten, wohl weil das traditionell-grüne Wählerpotential – trotz leichter Zugewinne – bald erschöpft ist und die Masse der Wähler mit einem auf Integration und Ökologie konzentrierten Wahlkampf nichts anzufangen wussten. Ihr verhältnismäßig schlechtes Abschneiden macht weder SPÖ noch ÖVP glücklich: Die „charmante Variante“ Schwarz-Grün ist ebenso unwahrscheinlich wie Rot-Grün, zumal zweitere Variante in Deutschland vor kurzem spektakulär Schiffbruch erlitten hatte. Die Grünen finden sich also vermutlich auf der gewohnten Oppositionsbank wieder – doch diesmal nicht neben den weltanschaulich doch nicht so unterschiedlichen SPÖ, sondern zwischen zwei Parteien, die sich nicht nur im Wahlkampf gegenseitig rechts zu überholen versuchten.

Das BZÖ ist und bleibt die Partei Jörg Haiders, auch wenn der Obmann inzwischen Peter Westenthaler heißt. Dieser konnte wohl – im Gegensatz zu dem kleinen kuscheligen Wahlwerbe-Hündchen bulldoghaft verbissen – mit Anti-Ausländer-Parolen punkten, doch dies hätte dem orangen Bund wohl nicht das politische Überleben gesichert. Der „Chef“ musste aus dem Bärental anrücken und in einer beispiellosen Materialschlacht in Kärnten in jedem Wahlkreis zwischen zwanzig und dreißig Prozent einfahren, damit Westenthaler & Co – denen zu allem Überfluss im Wahlkampffinale eine der Spitzenkandidatinnen und gleichzeitig „ihre“ beliebteste und kompetenteste Ministerin Gastinger abhanden kam – weiterhin im Nationalrat verbleiben dürfen. Die acht BZÖ-Mandate können an Mehrheiten freilich nichts ändern. Lediglich eine „rechte Koalition“ ÖVP-FPÖ-BZÖ wäre rein rechnerisch denkbar – doch die verfeindeten „Brüder“ können und wollen nicht miteinander und die ÖVP wird auch gut daran tun, ihre Nähe auch nicht zu suchen.

Die KPÖ und Hans-Peter Martin waren und bleiben Marginalien: Die einen traten mit einem gewohnten linksaussen-Programm an und konnten ihren Stimmanteil immerhin verdoppeln, der andere denkt nicht daran, seine eigene Politik überdenken oder gar kritisch betrachten zu wollen und gibt die Schuld den anderen Parteien, dem ORF und Gott weiß noch wem. Seine kurze und ruhmlose Gastrolle in der österreichischen Innenpolitik dürfte damit aber auch vorbei sein.

Was die Koalitionsverhandlungen ergeben, welche Minister ihren Hut nehmen müssen, welche Themen die künftige Bundesregierung zu ihrem Schwerpunkt auserkoren wird, ja selbst wer im Sessel des Bundeskanzlers Platz nehmen darf – auf all das dürfen wir in den nächsten Wochen und Monaten gespannt warten. Und der eine oder andere bedauern, doch nicht zur Wahl gegangen zu sein.