14 Juni 2006

Wenn zweiundzwanzig Lahme um das goldene Kalb tanzen...


Endlich ist es soweit. Wie bereits ein österreichischer Journalist treffend festgestellt hat, kommt der ORF seinem Bildungsauftrag nach: Wer die Wahl zwischen Musikantenstadl/Hansi Hinterseer/Pfundskerl etc. einerseits und Fussball-WM anderseits hat - wenn man mal vom "Bauer sucht Frau"-Peinlichkeitsorkan des ATV absieht - , greift unweigerlich zur Fernbedienung, schaltet den Flimmerkasten ab, entnimmt seinem Bücherschrank ein gutes Buch oder geht abends aus.

Doch bereits hier begegnet man der echten Problematik: Kaum ein Lokal ohne Fernsehschirm, auf dem - eh klar - ein Fussballspiel übertragen wird. Zweiundzwanzig schläfrige, lahme, koordinations- oder sonstwie gestörte Männer laufen einem Ball hinterher, gelegentlich kann einer von ihnen das runde Lederfetisch in ein Holz-Netz-Konstrukt befördern, und wird Held des Tages. Der gegnerische Tormann - ersatzweise der unparteiische Schiedsrichter oder einer seiner Assistenten - wird e contrario zum Trottel erklärt. Vor einigen Jahren wurde gar ein kolumbianischer Nationalspieler, dem das Malheur unterlief, ausgerechnet in einem WM-Spiel ein Eigentor zu schiessen, kurz nach seiner Heimkehr erschossen. Brot und Spiele? So scheint es jedenfalls. Die Masse jubelt - die Nationalhymnen beherrscht nur ein Bruchteil der jeweiligen Fangruppen - , das Bier fliesst in Strömen, und sollte eine Mannschaft vom Balkan ein Spiel gewinnen, fahren laut hupende Autos voller betrunken grölender Migranten oder Neo-Staatsbürgern durch die Vorstädte.

Beruhigend ist es nur zu wissen: Bald ist es wieder vorbei. Bald wird das Leben wieder normal. Den Fernseher allerdings werde ich deswegen nicht öfter einschalten. Denn Bücher sind irgendwie doch spannender. Und Ausgehen in fussballübertragungsfreie Lokale ebenfalls.